Von autoritären Gesellschaften zur Demokratie. Demokratie und Diktatur im Widerstreit seit 1918

Von autoritären Gesellschaften zur Demokratie. Demokratie und Diktatur im Widerstreit seit 1918

Organisatoren
Demokratiezentrum im Wien Museum
Ort
Wien
Land
Austria
Vom - Bis
03.03.2008 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Sara Gebh

Im Jubiläumsjahr 2008 veranstaltete das Demokratiezentrum im Wien Museum die Konferenz „Von autoritären Gesellschaften zur Demokratie. Demokratie und Diktatur im Widerstreit seit 1918“, um an die wichtigen Jahre 1918, 1933 und 1938 zu erinnern. Die Ereignisse dieser Jahre stellen wichtige Zäsuren in der Demokratiegeschichte Österreichs und Europas dar und symbolisieren den das 20. Jahrhundert beherrschenden Gegensatz von Demokratie und Diktatur. Mit dem Ziel, die historische Entwicklung zu skizzieren sowie aktuelle demokratiepolitische Herausforderungen zu diskutieren, wurden nationale und internationale Expert/innen eingeladen.

Nach einleitenden Worten des Museumsdirektors WOLFGANG KOS sowie der Eröffnung durch den Wiener Stadtrat für Kultur und Wissenschaft ANDREAS MAILATH-POKORNY referierte ANTON PELINKA (Central European University Budapest) zum Thema „Partizipative (Staats-)Bürger/innen als Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie“. Der herrschenden demokratietheoretischen These, ein Mehr an Partizipation sei zwangsläufig demokratiepolitisch positiv zu bewerten, stellte er den Ansatz gegenüber, dass hohe Partizipation nicht der (einzig) entscheidende Faktor für eine Qualitätssteigerung der Demokratie sei. Viel wichtiger sei, so Pelinka, das Maß an „demokratischem Relativismus“, also an der Fähigkeit, in Grautönen statt in Schwarz/Weiß-Schemata zu denken und abwägend zu handeln.

Diese These überprüfte der Referent anhand eines Vergleichs der Ersten Republik Österreichs (1918-1938), die demokratiepolitisch allgemein als Misserfolg gewertet wird, mit der erfolgreichen Zweiten Republik (seit 1945). Anhand der Indikatoren für Partizipation „Wahlbeteiligung“ und „Organisationsdichte der Bevölkerung“ (gemeint ist hier ihre Mitgliedschaft in politischen Parteien) lasse sich belegen, dass diese Faktoren nicht die ausschlaggebenden für die Erklärung des Scheitern bzw. des Erfolges seien. Von hoher Relevanz sei hingegen, so referierte Pelinka, die „politische Kultur“: In der Ersten und zu Beginn der Zweiten Republik seien der Prozentsatz der Parteimitgliedschaften in der Bevölkerung und ihre Organisationsdichte nahezu identisch geblieben, ebenso habe sich die Einstellung der Bürger/innen zur Staatsform nicht dramatisch verändert. Daraus folge, dass die Ursache für die unterschiedlichen Ausgänge der Ersten und der Zweiten Republik woanders liegen müsse. Pelinka sah den entscheidenden Faktor in dem Verhalten der politischen Eliten. Sie hätten sich einer anderen Politikpraxis zugewendet, die maßgeblich von Kooperations- und Kompromissbereitschaft geprägt sei. Pelinka stützte seine These, demokratischer Relativismus fördere Demokratie, anhand dieses Vergleichs zwischen Erster und Zweiter Republik.

Pelinka zog daraus erstens das Fazit, dass Konsensbereitschaft und Relativierungsfähigkeit der Repräsentanten als eine erste Voraussetzung für eine Qualitätssteigerung der Demokratie gesehen werden könnten. Zweitens hätte „diese neue politische Kultur des Relativismus zunächst im arkanen Bereich der inneren Macht“ bleiben müssen, denn „es wäre ja auch kontraproduktiv gewesen, die neue Kultur des politischen Relativismus nach außen dringen zu lassen, baute doch die Mobilisierbarkeit der Lager […] auf den nach wie vor entlang der Feindbilder orientierten Loyalitäten auf“.

In der anschließenden, durchaus kontroversen Diskussion unter der Leitung von GERTRAUD DIENDORFER wurde besonderen Wert auf die Einbeziehung weiterer Faktoren wie politischer Öffentlichkeit und wirtschaftlicher Verhältnisse gelegt. Besonders in der immer größer werdenden Kluft zwischen „Arm“ und „Reich“ wurde eine dramatische Gefahr für die Demokratie gesehen. Für Pelinka stellt die Globalisierung die größte Hürde für Demokratie dar, da Demokratie immer noch im nationalstaatlichen Kontext verankert sei, während wirtschaftliche Strukturen inzwischen in einem transnationalen Rahmen stattfänden. Aus diesem Grund vertrat Pelinka in der Diskussion, dass, wer die Demokratie ernst nehme, sich für die Europäische Union aussprechen müsse – sie sei ein Schritt in die richtige Richtung.

Im Anschluss wandte sich PETER STEINBACH (Universität Mannheim) in seinem Vortrag „Zur Wahrnehmung von Diktaturen im 20. Jahrhundert“ ausdrücklich der gegenwärtigen Lage zu und appellierte an jeden einzelnen, den „Blick zu schärfen“. In der kurzen Einführung in die Thematik erklärte der Vortragende den für ihn zentralen Unterschied zwischen einer Demokratie und einer Diktatur: Eine Demokratie zeichne sich dadurch aus, dass sie das Vertrauen der Bürger/innen in die Mitbürger/innen stärke, während eine Diktatur Steinbach zufolge hingegen Misstrauen unter den Bürger/innen fördere und Vertrauen zur Regierung fordere. Neu an den Diktaturen im 20. Jahrhundert sei, dass sie nicht mehr zur Erhaltung oder Wiederherstellung des alten Verfassungszustands eingesetzt würden, sondern die Zerstörung der alten Gesellschaftsformen zum Ziel und eine Installation neuer Werte und Strukturen zur Folge hätten.

Im weiteren Verlauf argumentierte Steinbach, dass Diktaturen und autoritäre Staatsformen Bestandteil des politischen Bilds dieses und des letzten Jahrhunderts seien; anstatt dies hinzunehmen oder zu ignorieren, müssten ihnen bzw. vor allem den aus ihnen folgenden Menschenrechtsverletzungen mehr Beachtung geschenkt werden. Anhand internationaler Beispiele verdeutlichte Steinbach die Komplexität der politischen Lage im Umgang mit autoritären Regimes, so unter anderem, dass die Kooperation zwischen Demokratien und bestimmten Diktaturen häufig eine Notwendigkeit für die Beseitigung eines anderen Diktaturtyps seien. Die Beurteilung der politischen Lage in einzelnen Ländern werde dadurch weiter erschwert. Steinbach beklagte außerdem die Gleichgültigkeit gegenüber den Verbrechen von Diktaturen und forderte eine stärkere Beachtung von Menschenrechtsverbrechen. In seinem abschließenden Fazit rief Steinbach dazu auf, 1. Unrecht wahrzunehmen, 2. zu reagieren und 3. aus Empörung zu handeln, und zwar unter Absehen von der eigenen Person.

Die Diskussion, geleitet von OLIVER RATHKOLB, zeigte klar, dass ein solches Thema stark emotional besetzt ist. Mit welcher Berechtigung könne man andere Systeme verurteilen und wie solle man dann eingreifen ohne deren Rechte zu verletzen? Der Referent erkannte diese Problematik an und machte deutlich, dass man die Wahl habe zwischen dem Eingreifen und damit dem Vorwurf der „Kriegstreiberei“ und dem Wegsehen. Steinbach sprach sich für das Handeln aus, aber selbstverständlich nur unter detaillierter Berücksichtigung der immer fallspezifischen Umstände. Eigene Interessen an Eingreifen oder Wegsehen müssten hier kritisch beleuchtet werden.

Der Vortrag von GERHARD BOTZ (Universität Wien) zum Thema „Diktatur gegen Diktatur: Autoritärer „Ständestaat“ und Nationalsozialismus in Österreich“ setzte sich vor allem mit der zweischneidigen Erinnerung an das Dollfuß-Schuschnigg-Regime auseinander. Zum einen werde immer noch das Image des christlichen Ständestaats und der respektablen Krisenlösungsdiktatur aufrecht erhalten, zum anderen würden Dollfuß und Schnuschigg als Austrofaschisten und Wegbereiter des Nationalsozialismus bezeichnet. Nach Botz ist keine der beiden Varianten in ihrer Radikalität angemessen. Man dürfe den Konflikt nicht wegdividieren, sondern müsse nach Erklärungen suchen und die Problematik von beiden Blickwinkeln angehen. Das Dollfuß-Schuschnigg-Regime konnte den Nationalsozialismus zumindest kurzfristig aufhalten, so Botz, was aber nicht heiße, dass Dollfuß dafür die Demokratie hätte beseitigen müssen.

Im Folgenden gab der Referent einen kurzen Überblick über die Welle von „Nichtdemokratien“, die in den 1920er- und vor allem 1930er-Jahren über Europa rollte. Botz machte besonders zwei Formen aus: die „Königsdiktaturen“ (wie in Rumänien oder Jugoslawien) und die rechts-konservativen Militär- und/oder Partei-Diktaturen (wie in Ungarn). Erstere Art (dazu zählte Botz auch Dollfuß’ „Ständestaat“) sei immer begrenzt, weil mit ihr nur ein Teil der Gesellschaft, meist die Eliten, eingebunden werden könne.

Botz machte am Beispiel des autoritären „Ständestaats“ in Österreich eine tendenzielle Faschisierung aus: von 1933 bis 1936 bekämpfte die Regierung die Nationalsozialisten stärker als die Demokraten, ab 1936 (nach äußerem Druck von Hitler und innerem Druck von österreichischen Nationalsozialisten) öffnete sich das System immer mehr und wurde kontra-demokratisch. Abschließend betonte Botz, dass eine einseitige Heroisierung bzw. Verdammung des Dollfuß-Schuschnigg-Regimes nicht angemessen sei, es müssten immer die wechselnden Funktionen differenziert beurteilt werden, um eine Beurteilung zu ermöglichen.

Die Diskussion im Anschluss unter Leitung von Oliver Rathkolb drehte sich vorrangig um die Frage, wie Zivilcourage gefördert werden kann und welche Rolle die Medien dabei spielen. Letztere führten scheinbar, so Botz, eine von der Wissenschaft entkoppelte Debatte, was allerdings nicht dem Gegenstand geschuldet sei. Das Thema des „Anschlusses“ werde inzwischen weniger von Historiker/innen und Politikwissenschaftler/innen bearbeitet, sondern von einer neuen Generation von Kommunikations- und Filmwissenschaftler/innen. Besonders eine Europäisierung des Blicks scheine in weiteren Forschungen wichtig.

In dem vierten Vortrag der Konferenz von JERZY KOCHANOWSKI (Universität Warschau) „Das Scheitern der zentraleuropäischen Demokratien nach 1918 am Beispiel von Pilsudskis Polen und Horthys Ungarn“ konzentrierte sich der Referent auf einen Vergleich der beiden Staaten. Gemeinsam sei ihnen, dass sich in beiden Ländern die autoritären Regime relativ lange behaupten konnten: In Ungarn kam Miklós Horthy 1920 offiziell an die Macht und blieb Staatsoberhaupt bis zu seiner erzwungenen Abdankung 1944. Die autoritäre Periode wird in Polen unter Józef Pilsudski zwischen 1926 und 1939 angesetzt. Neben diesen offensichtlichen Ähnlichkeiten betonte Kochanowski aber vor allem die Unterschiede im Detail. Anhand von drei ausgewählten Merkmalen erläuterte der Referent seine These, dass Ostmitteleuropa dem vereinheitlichten, historischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kontext unabhängigen Prozess einer „autoritären Internationalen“ unterlag. Das erste Merkmal betraf die Symbole der beiden Staaten, Horthy und Pilsudski selbst: beide seien zu Beginn als Repräsentanten der „Goldenen Mitte“ wahrgenommen worden, Pilsudski pflegte jedoch eine eher informelle Herrschaft, während Horthy seine Macht im bestehenden rechtlichen Rahmen ausweitete. Gemeinsam war ihnen jedoch das Fehlen einer zentralen politischen Vision, kombiniert mit dem Anspruch an eine Neuordnung der Gesellschaft. Bei der Analyse des zweiten Merkmals, der Frage nach dem Bewusstsein von einem Umbruch, machte Kochanowski den Unterschied zwischen den beiden untersuchten Ländern deutlich: in Polen wurde die Maiübernahme 1926 als „Stunde Null“, als Revolution propagiert, in Ungarn hingegen nicht. Die Haltung zu Demokratie und zum Parlamentarismus, das dritte Merkmal, verdeutlichte die Komplexität des Untersuchungsgegenstandes: In Ungarn wurde das Parlament zwar nicht aufgelöst (im Gegensatz zu Polen), aber die gesellschaftliche Beteiligung am Parlament (gemessen an den Stimmberechtigten) und die Dauer des geheimen Wahlrechts waren in Polen bis zur Auflösung deutlich höher.

Kochanowski bilanzierte, dass es eine allgemeine Tendenz zum Autoritarismus in Zentraleuropa in der Zwischenkriegszeit gegeben habe, die Entwicklungen in Polen und Ungarn sich trotz aller Differenzen ähnelten, dass aber gleichzeitig in der Erinnerung an Horthys Ungarn und Pilsudskis Polen ganz andere Dimensionen zum Tragen kämen.

Die Frage nach dem Begriff der „Revolution“ stand während der Diskussion unter Oliver Rathkolbs Leitung im Zentrum des Interesses. Kochanowski betonte noch einmal, dass der Maiumbruch von 1926 in Polen mehr eine moralische denn eine politische Revolution gewesen sei, man hätte den Staat mit Moral zu heilen versucht. Pilsudski selbst habe nie den Begriff der Revolution verwendet, seine Anhänger hätten diesen geprägt.

Das anschließende Referat von OLIVER RATHKOLB (Universität Wien) zum Thema „Die Rolle von Geschichtsbildern in Demokratisierungsprozessen in Zentraleuropa“ bot einen kurzen „Werkstattbericht“ in ein Forschungsprojekt des Ludwig Boltzmann-Instituts für Europäische Geschichte und Öffentlichkeit, das die These diskutierte, ob Verherrlichungen und positive Rekonstruktionen vergangener Diktaturen und autoritärer Führer Indikatoren für aktuelle autoritäre Einstellungen und antidemokratische Grundhaltungen in der Gegenwart seien. Rathkolb präsentierte erste Auswertungen der Meinungsumfragen von 2007/2008 in Polen, Tschechien, Ungarn und Österreich, die sich unter anderem auch auf die Zwischenkriegszeit beziehen. Als theoretisches Ausgangsmodell wurden die „Studien zum autoritären Charakter“ von 1950 aus dem Kreis um Theordor W. Adorno verwendet. Insgesamt wurde deutlich, dass es inzwischen eine größere Bereitschaft gibt, die Mitverantwortung für die Ereignisse im Nationalsozialismus zu übernehmen. Diese Bereitschaft sinkt jedoch erheblich, wenn sich die Frage auf das kommunikative Gedächtnis bezieht oder gar auf die familiäre Ebene abzielt. Rathkolb skizzierte auch Ergebnisse zur Frage, ob die Diskussion um den Holocaust beendet werden solle („Schlussstrichdebatte“), die eine positive Korrelation zwischen einer autoritärer Einstellung und dem Wunsch nach einem Ende der Debatte ergaben. Auch die Analyse der Korrelation zwischen einer autoritären Einstellung und der Ablehnung einer Mitverantwortung und dem Wunsch nach härteren Strafen fällt positiv aus. Im Fazit ging Rathkolb auf die Wichtigkeit der europäischen Perspektive ein und forderte eine Anreicherung der Auseinandersetzung mit Diktaturen.

Die rege Diskussion, geleitet von HEIDEMARIE UHL, konzentrierte sich vor allem auf die Einbeziehung der Diskussion um Entschädigungszahlungen, die die Ergebnisse bei der Frage nach Mitverantwortung maßgeblich beeinflusst. Rathkolb betonte ebenfalls, dass die gesamte „Schlussstrichdebatte“ von der Frage nach Restitution getragen sei. Des Weiteren wurde vor allem im Hinblick auf die aktuelle Situation in Russland die Frage gestellt, inwieweit ein autoritäres Regime im rechtspositivistischen Sinne rechtsstaatlich sein kann.

Der abschließende Vortrag von VIOLA GEORGI (Freie Universität Berlin) behandelte das Thema „Demokratie-Bildung im 21. Jahrhundert“ und gab somit einen Blick in die Zukunft und auf mögliche Handlungsfelder. Die Referentin konzentrierte sich auf die europäische Ebene und umriss die Debatte um „active citizenship“, wobei sie zunächst die verschiedenen Ebenen von Demokratie darlegte: Demokratie als Herrschaftsform (gemeint ist die institutionelle Ebene), als Gesellschaftsform und als Lebensform. Letztere Ebene war für Georgi die zentrale für ihre weiteren Ausführungen. Nur wenn Demokratie als Herrschaftsform sozial-moralisch (durch Demokratie als Gesellschafts- und Lebensform) quasi „unterfüttert“ werde, sei sie qualitativ hochwertig und überlebensfähig. Daraus ergäben sich der Referentin zufolge in den verschiedenen Feldern der Demokratie-Bildung (individuelle, zivilgesellschaftliche, institutionell-strukturelle und gesellschaftliche Ebene), die sie als Querschnittsbereich zwischen vielen anderen Bildungsfeldern (wie Europa-Bildung) verstand, Handlungsanweisungen: Die verschiedenen Ebenen der Demokratie-Bildung 1. Wissen, 2. Werte und Haltungen sowie 3. Kompetenzen und Handlungswissen müssten bewusst ausgebildet werden und führten im besten Fall in Kombination zu Demokratie-Kompetenz. Für Georgi spielte vor allem interkulturelle Kompetenz eine Schlüsselrolle. Im weiteren Verlauf des Referats wurden Beispiele zu europäischen Initiativen gegeben und verschiedene Ansätze präsentiert. Inzwischen habe sich die Terminologie von „active demokratic citizenship“ durchgesetzt, um den Demokratie-Aspekt zu betonen. Besonders die Initiative des Europarates „Education for democratic Citizenship“ wird von der Vortragenden als beispielhaft und wirkungsvoll hervorgehoben. Aufgrund der Aktualität des Themas ergebe sich eine Vielfalt von Konzepten (global, multicultural oder cosmopolitan citizenship), so Georgi, aber die Perspektive sei klar: „world citizens without losing their roots“.1

Die Diskussion unter der Leitung von HUBERT CHRISTIAN EHALT beschäftigte sich vor allem mit der Frage, ob solche demokratiebildnerischen Initiativen in repräsentativen Demokratien effektiv seien, was Georgi klar bejahte, denn Demokratie als Lebensform könne die repräsentative Herrschaftsform untermauern. Dazu seien solche Projekte und eine verstärkte Beachtung der europäischen Dimension in der Schule nötig.

Die Podiumsdiskussion am Ende der Konferenz stellte die zentrale Frage, ob ein Lernen aus der Geschichte möglich und wenn ja, wie es zu befördern sei. GERTRAUD DIENDORFER betonte das Paradoxon der Gegenwart, dass einerseits eine immer größere Apathie der Politik gegenüber (besonders bei jungen Menschen) bestehe und andererseits noch nie ein so großer Partizipationswille existiert habe. Die Chance müsse man durch ein Stärken der Demokratie (angelehnt an Benjamin Barbers „strong democracy“) nutzen. Für JERZY KOCHANOWSKI besteht die zentrale Aufgabe eines Historikers darin, die Goldene Mitte zu suchen und verschiedene Perspektiven aufzuzeigen, indem man auch unbequeme Fragen stellt. Er wies auf Weißrussland als Beispiel für die Schwierigkeit hin, was zu tun ist, wenn es sich offensichtlich um eine autoritäre Gesellschaft handelt, die Mehrheit der Bevölkerung jedoch zufrieden ist.

Besonders GERHARD BOTZ zeigte das zentrale Problem von Inklusion und Exklusion auf: Wo liegen die Grenzen einer Gemeinschaft? Wie werden sie definiert? Und ist die ihnen innewohnende Exklusion unvermeidbar negativ besetzt? Botz forderte eine plural definierte Gemeinschaft, in der die Grenzen in uns selbst verlaufen, anstatt eindeutige Außengrenzen zu ziehen.

Die Konferenz leistete einen wichtigen Beitrag zu der Diskussion um Demokratie im Gedenken an die Jahre 1918, 1933 und 1938. Nach einer Konzentration auf österreichische Topoi konnte der Bogen zum europäischen Gegenwarts-Kontext geschlagen werden, was den Verlauf der Konferenz sehr spannend machte. Neben der allgemein guten Stimmung lieferte die lebhafte, wenn auch manchmal kurze Diskussion sehr produktive Einwände und Ergänzungen. Im Hinblick auf künftige Forschungen wurde der Wunsch nach einer Beachtung der Rolle der Medien in diesem Kontext laut.

Konferenzübersicht

Grußworte
(Wolfgang Kos, Direktor des Wien Museum)

Eröffnung der Konferenz
(Andreas Mailath-Pokorny, Stadtrat für Kultur und Wissenschaft in Wien)

Film: Demokratievorstellungen im Generationenvergleich
(produziert vom Demokratiezentrum Wien und dem BMUKK/Medienabteilung)

Partizipative (Staats-)BürgerInnen als Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie
(Anton Pelinka, Central European University Budapest)
Zur Wahrnehmung von Diktaturen im 20. Jahrhundert
(Peter Steinbach, Universität Mannheim)
Diktatur gegen Diktatur: Autoritärer „Ständestaat“ und Nationalsozialismus in Österreich
(Gerhard Botz, Universität Wien)
Das Scheitern der zentraleuropäischen Demokratien nach 1918 am Beispiel von Pilsudskis Polen und Horthys Ungarn
(Jerzy Kochanowski, Universität Warschau)
Die Rolle von Geschichtsbildern in Demokratisierungsprozessen in Zentraleuropa nach 1989
(Oliver Rathkolb, Universität Wien)
Demokratie-Bildung im 21. Jahrhundert
(Viola Georgi, Freie Universität Berlin)

Podiumsdiskussion
(mit Gerhad Botz, Gertraud Diendorfer, Jerzy Kochanowski, Oliver Rathkolb und Peter Steinbach)

Anmerkung:
1 Delors, Jacques: Education: The Necessary Utopia. Report to UNESCO of the International Commission on Education for the Twenty-first Century. <http://www.unesco.org/delors/utopia.htm> (11.03.2008).


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